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    | Seit die Hyperkinetische
      Störung (HKS) bzw. die Aufmerksamkeits-
      defizit-/[Hyperaktivitäts-]Störung (AD[H]S) in den Mittelpunkt
      des gesellschaftlichen Interesses gerückt ist und die Diagnosezahlen mehr
      und mehr ansteigen, wird die Frage nach einer zuverlässigen Stellung der
      Diagnose immer lauter. Zwischen den Befürwortern der Störung und ihren
      Kritikern hat sich ein weites Feld geöffnet, auf dem nicht nur die
      Symptome und Ursachen, sondern auch die an der Diagnosestellung
      beteiligten Fachleute und deren Verfahren heftig umstritten sind.
      Für den Laien, seien es die Eltern betroffener Kinder oder
      möglicherweise selbst betroffene Erwachsene, bleibt nicht selten
      unverständlich, warum verschiedene Fachrichtungen unterschiedliche
      Zugänge zur gleichen Problematik als "gültige" Lösung
      präsentieren. Was unterscheidet eigentlich (Fach-)Ärzte
      von Psychologen? Kann man Aufmerksamkeit
      oder Hyperaktivität messen? Welche anderen
      Disziplinen außer Ärzten und Psychologen sind von Berufs wegen noch
      geeignet, eine entsprechende Diagnose zu stellen? Ich kenne meine Kinder
      und mich am besten: Kann ich sie oder mich selbst nicht auch selbst
      diagnostizieren? Und schließlich: Sind alle Untersuchungen sinnvoll
      und notwendig, die im Rahmen der Hyperkinetischen Störung empfohlen
      werden - oder ist nicht auch manches entbehrlich? | 
    Unter den
      Menschen lernen oder betreiben zwar die einen diese, die anderen jene
      Kunst; diese eine aber, die für jeden notwendig ist, müssten alle
      lernen. [...] Wenn nun auch die vollkommene Kenntnis der gesamten
      Heilkunst nur wenigen zuteil werden kann, die ihr ganzes Leben diesem
      einen Studium gewidmet haben, so sollte doch billigerweise wenigstens von
      demjenigen Teil, der sich auf den Schutz der Gesundheit bezieht, jeder ein
      Wissen haben.
       Erasmus von Rotterdam 
      Enconium artis medicae 
      Zum Lobe der Heilkunst 
      von 1518; zitiert nach: 
      Fritz Ebner für E. Merck AG 
      Darmstadt 1960  | 
   
  
    
       
      Wer kann die Diagnose stellen?
     | 
     | 
   
  
     
      * Alle Berufsbe- 
        zeichnungen 
        etc. werden 
        auf dieser 
        Seite der 
        Einfachheit 
        halber nur in 
        männlicher 
        Form ge- 
        braucht.  
     | 
    Formal kann die Diagnose einer
      Hyperkinetischen Störung in Deutschland nur ein approbierter Arzt* oder
      Psychotherapeut* stellen. Approbiert heißt in diesem
      Zusammenhang, dass die entsprechende Person eine gesetzliche Zulassung als
      Arzt (gleich welcher Fachrichtung) oder Psychologe hat, die es ihm
      erlaubt, ärztlich und/oder psychotherapeutisch tätig zu sein. Die
      Zulassung wird in den deutschen Bundesländern von unterschiedlichen Behörden
      erteilt. Die sog. "gesetzlichen Krankenkassen" verlangen als
      Abrechnungsgrundlage darüber hinaus die Eintragung in das Arztregister,
      d.h. die Zulassung als Kassenarzt oder Kassenpsychotherapeut.
      Manche Privatkassen, aber auch nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz
      (KJHG) in der Finanzierung von pädagogischen und therapeutischen
      Leistungen engagierte Sozialbehörden gewähren diese nur nach Vorlage
      fachärztlicher Atteste. Obschon manch nicht approbierter Psychologe oder
      Therapeut durchaus in der Lage sein mag, eine fundierte Diagnose zu
      stellen - vor dem Gesetz Bestand haben nur die Atteste der zugelassenen
      Ärzte und anerkannten Psychotherapeuten.
       Einzelne  Facharztrichtungen bzw. ihre Vertreter sind aufgrund von
      Ausbildung und praktischer Tätigkeit eher als die übrigen geeignet, die
      Diagnose einer Hyperkinetischen Störung zu stellen. Dazu zählen im
      Kindesalter die Kinder- und Jugendpsychiater, die Pädiater (Kinderärzte)
      sowie die Sozialpädiater (i.d.R. Kinderärzte mit
      Zusatzqualifikationen im Bereich der öffentlichen Gesundheit sowie der
      Psychiatrie); da viele Kinder v.a. in ländlichen Gebieten dieselben
      Allgemeinärzte wie ihre Eltern aufsuchen, sind nicht wenige Fachärzte
      für Allgemeinmedizin im Bereich der Pädiatrie bzw. Kinder- und
      Jugendpsychiatrie durchaus kundig. Nicht zuletzt verfügen Fachärzte
      für Neurologie aufgrund ihrer spezifischen Kenntnisse in der
      Hirnentwicklung über eine zunehmend bedeutsamer werdende
      Schlüsselqualifikation in Verständnis und Therapie von Aktivitäts- und
      Aufmerksamkeitsstörungen. Sie sind neben den Fachärzten für
      Psychiatrie (und Psychotherapie) auch die naheliegenden
      Ansprechpartner betroffener Erwachsener. 
      Unter den verschiedenen Disziplinen der  Psychologie und Psychotherapie
      sind gleichfalls die Vertreter verschiedener Richtungen bzw. Schulen den
      Inhalten ihrer Ausbildung und Tätigkeit nach für die Diagnosestellung
      geeignet. Unter den Fachrichtungen der Psychologie sollten die Klinischen
      Psychologen sowie die Entwicklungspsychologen grundsätzlich
      durch Studium und Arbeit mit dem Störungsbild vertraut sein. Im
      therapeutischen Alltag haben diese Richtungen jedoch keine feste
      Bedeutung. Hier ist bedauerlicherweise auch nach der Verabschiedung des
      deutschen Psychotherapeutengesetztes (PsychThG) für die Patienten de
      facto kaum etwas klarer und verlässlicher als zuvor. Unter den heute zugelassenen
      Psychotherapeuten sind fast ausschließlich die bereits früher im
      Delegationsverfahren (d.h. auf Verschreibung der Ärzte) tätigen
      Psychotherapeuten wieder "am Markt" - nun durch Gesetzgebung und
      die restriktive Kassenzulassung vor dem bisweilen besseren Nachwuchs
      geschützt. Betrachtet man die zugelassenen Therapieschulen, die sich
      letztlich mehr in der Therapieform als den diagnostischen Standards
      unterscheiden sollten, so sind v.a. im Kindes- und Jugendalter Verhaltenstherapeuten
      den Vertretern humanistischer und tiefenpsychologischer
      Verfahren vorzuziehen. Gerade letztere haben sich in Person einzelner,
      auch recht prominenter Therapeuten durch z.T. fragwürdige Mutmaßungen
      oder gar Behauptungen zur Ursache der Hyperkinetischen Störung auch
      diagnostisch disqualifiziert.   | 
   
  
     
      Im Alltag verschwindet die Therapieschule jedoch meist hinter der
      Persönlichkeit des Therapeuten. Ungeachtet der hier angeführten
      Vorüberlegungen sollte bei der Wahl des Diagnostikers wie auch des
      Therapeuten daher die eigene kritische Einschätzung der fachlichen wie
      menschlichen Qualitäten des Arztes oder Psychologen im Mittelpunkt
      stehen. Wichtig ist bereits beim Stellen der Diagnose nicht allein das
      Wissen um die Störung, sondern v.a. auch die Hilfe, die aus den
      diagnostizierten Problemen abgeleitet wird. | 
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      Was gehört alles zur Diagnose?
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    Die Diagnose der Hyperkinetischen Störung muss
      formal die Kriterien der ICD-10 erfüllen.
      Dazu gehört der Nachweis von Symptomen der Impulsivität,
      Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung. Darüber hinaus müssen
      Krankheiten, Umwelteinflüsse und Schädigungen ausgeschlossen werden, die
      eine vergleichbare Symptomatik hervorrufen können. Nicht zuletzt sollte
      den "Rahmenbedingungen" der Störung, d.h. den Lebensbedingungen
      der oder des Betroffenen Aufmerksamkeit zukommen: Familie; Schule oder
      Arbeitsplatz; Freizeit und Freundeskreis; materielle, darunter räumliche
      Voraussetzungen; Vergangenheit und Zukunftsperspektive.
          | 
    Aber nicht nur
      für den Körper, der der wertlosere Teil des Menschen ist, trägt der
      Arzt Sorge, - er sorgt sogar für den ganzen Menschen[...]. Denn wie wegen
      der wechselseitigen Verbindung und Verknüpfung beider Teile die Gebrechen
      der Seele sich in den Körper ergießen, so hemmen andrerseits die
      Krankheiten des Körpers die Lebenskraft der Seele oder vernichten sie gar
      völlig.
       Erasmus von Rotterdam 
      Zum Lobe der Heilkunst (s.o.)  | 
   
  
     | 
    - Diagnostische
      Erfassung der Kernsymptomatik 
      - Weiterführende interessante Informationen 
      - Ärztliche und fachärztliche Untersuchungen 
      - Weniger bedeutsame oder irreführende Daten
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     | 
   
  
    | 
          impulsiv 
      hyperaktiv 
      unaufmerksam  | 
    Diagnostische
      Erfassung der Kernsymptomatik
       Die Kernsymptomatik der Hyperkinetischen Störung
      besteht aus Symptomen der Impulsivität,
      Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung. Die Symptome aller drei
      Gruppen werden bis heute primär durch Beschreibungen von Personen aus
      der Umwelt der Betroffenen bzw. der Patienten selbst erfasst. Das gilt
      insbesondere für die ärztliche Praxis, die tendenziell weniger mit
      Verfahren aus dem Bereich der Psychodiagnostik wie Tests oder
      neuropsychologischen Messgeräten vertraut ist. Aber auch viele 
      Psychologen verfügen weder über die Erfahrung noch die Ausstattung zur
      standardisierten Überprüfung von Auffälligkeiten im Bereich der
      Kernsymptomatik. Ungeachtet aller klinischen Routine vieler Ärzte und
      Psychotherapeuten ist eine Diagnosestellung, die sich ausschließlich auf
      unstrukturierte Gespräche mit dem Betroffenen und seiner sozialen
      Umgebung stützt, nicht hinreichend genau, um die subjektive
      Auffälligkeit in Teilbereichen vom Vorliegen der Störung sicher
      abzugrenzen. 
      Ein einfacher Zugang zu standardisierten und zum
      Teil auch normierten, d.h. mit einer Gruppe von unauffälligen Menschen
      vergleichbaren Daten besteht in der Anwendung von Fragebogenverfahren.
      Diese fragen das  Verhalten einer Person in bestimmten Situationen  ab; der
      Patient oder "Beobachter" (Eltern, Lehrer, Freunde) beantworten
      fest vorgegebene Fragen mit »Ja« oder »Nein« bzw. bewerten Aussagen
      über das Verhalten hinsichtlich der Stärke ihres Zutreffens auf den
      Patienten. 
      Einzelne Aspekte der
      Kernsymptomatik der Hyperkinetischen Störung sind auch mit neuropsychologischen
      Testverfahren messbar. Der Einsatz solcher Tests ist sinnvoll, um
      Berichte und  situative Beobachtungen durch die Ergebnisse
      standardisierter Methoden der Datenerhebung zu untermauern. Denn:
      Selbstbeherrschung und Konzentration sind nicht nur physiologisch, d.h. in
      der angeborenen Natur des Menschen vorgegeben, sondern zugleich von
      erlernbaren Strategien abhängig. Daher ist es wichtig, die entsprechenden
      natürlichen Voraussetzungen eines Menschen möglichst getrennt von
      denkbaren Einflüssen durch ungenügendes Wissen und unzureichende
      Strukturierung der Umwelt zu untersuchen. Neben meist
      computergestützten Testverfahren zur Messung von Aspekten der
      Aufmerksamkeit und Impulsivität können auch einzelne Aufgaben aus
      Intelligenztests oder Geräte zur Erfassung der motorischen Aktivität im
      Diagnoseprozess wichtige Informationen liefern.
         | 
   
  
    
       
      Intelligenz 
      Wahrnehmung 
      Gedächtnis 
      Motorik  | 
    Diagnostisch
      interessante Informationen,  
      die über die Kernsymptomatik hinausgehen:
      Mit der Hyperkinetischen Störung ist häufig eine Reihe von
      Auffälligkeiten verbunden, die nicht unmittelbar Ausdruck der
      Kernsymptomatik sind, jedoch mit der Störung und/oder komorbiden
      Störungen in Zusammenhang stehen. Bisweilen ist es nicht nur interessant,
      sondern notwendig, diese weitergehende Symptomatik genauer zu betrachten,
      weil sie wichtige Informationen für die Differentialdiagnostik,
      d.h. die Abgrenzung der Hyperkinetischen Störung von anderen Störungen
      bereithält. Dazu sind neben der Allgemeinen Intelligenz - die
      entgegen der Bezeichnung "allgemein" dennoch stets nur ein
      beschränktes Bild der intellektuellen Leistungsfähigkeit darstellt -
      v.a. Wahrnehmungs- und Gedächtnisleistungen sowie motorische
      Fähigkeiten von Interesse. Die große Mehrheit der hier
      gebräuchlichen Testverfahren stammt aus dem Bereich der (Neuro-)Psychologie
      und wird i.d.R. von Psychologen durchgeführt. An dieser Stelle sind
      allerdings auch medizinische Untersuchungen sehr wichtig, um
      beispielsweise physiologische Fehlfunktionen von Sinnesorganen und andere
      organische Ursachen für falsche Steuerungsprozesse von Wahrnehmung und
      Motorik auszuschließen bzw. einzugrenzen. 
          | 
   
  
    | 
         
      Krankheiten 
      Unfallfolgen 
      Allergien 
      Vergiftungen 
       
     | 
    Ärztliche
      und fachärztliche Untersuchungen
       Medizinische Untersuchungen
      sollten stets ein fester Bestandteil der Diagnose von psychischen
      Störungen jeder Art sein. Gerade weil im Menschen geistige und
      körperliche Funktionen untrennbar miteinander verwoben sind, können
      körperliche Beschwerden psychische Ursachen haben. Häufiger noch haben
      jedoch psychische Probleme zumindest in Teilen körperliche Ursachen bzw.
      entstehen auf der Grundlage einer besonderen physischen Disposition,
      d.h. der körperlichen Verfassung eines Menschen. Zwei Einflusswege sind
      dazu denkbar. Erstens beeinträchtigen körperliche Beschwerden
      mittelbar die Psyche eines "kranken" Menschen. Eine
      Fußverletzung kann das Ende der Karriere eines Profifußballers bedeuten;
      obwohl die Verletzung nicht unmittelbar auf die Psyche einwirkt, mag die
      überraschende Perspektivlosigkeit zu einer tiefen Traurigkeit,
      Unsicherheit und auch Lebensunlust führen. Zweitens beruhen auch
      geistige Funktionen auf körperlichen Grundlagen. Das Gehirn, in dem
      Wahrnehmung, Denken und Fühlen entstehen, ist eine Maschine, die vieler
      materieller Voraussetzungen bedarf, um richtig zu arbeiten. Veränderungen
      an der "Ausstattung" (z.B. lokale Schädigungen) oder den
      "Betriebsstoffen" (z.B. Stoffwechselstörungen) der Maschine
      beeinflussen das Wahrnehmen, Denken und Fühlen unmittelbar. So sind
      beispielsweise rund 25 Prozent der Bevölkerung Nordskandinaviens in den
      Monaten des langen Polarwinters depressiv; diese klinisch bedeutsame
      Erkrankung wird durch den Mangel an Licht verursacht, der unmittelbar auf
      den Hirnstoffwechsel einwirkt. Dass nicht jeder Sportler am frühen Ende
      seiner Karriere psychisch leidet oder drei von vier Skandinaviern den
      Winter ohne krankhafte Beeinträchtigung ihrer Stimmung überstehen,
      hängt vor allem von der Verfassung ab, in der Menschen diesen äußeren
      Bedingungen ihres Lebens entgegentreten. Die Mehrheit verfügt nämlich
      über eine physische und psychische Gesundheit, die ein hohes Maß an -
      auch schicksalhaften - Veränderungen toleriert. Andere hingegen stellen
      sich diesen äußeren Faktoren geschwächt entgegen. Ihr Körper und Geist
      verfügt nicht über die Kräfte, die Gesundheit und Lebenszufriedenheit
      geben. Sie zeigen ein Verhalten, das auf ein ungleich größeres Leiden an
      den gleichen Umständen schließen lässt. Daher sind auch Denken und
      Fühlen, Wahrnehmung und Verhalten niemals ohne Kenntnis der körperlichen
      Verfassung eines Menschen zu verstehen. 
         | 
   
  
    | 
         
      Ernährung 
      Integration 
        der Sinne 
      Frühkindliche 
        Erlebnisse 
        oder vor- 
        geburtliche 
        Prägung 
      Traumata 
      Konstellation 
        in Familien 
        
         | 
    Weniger
      bedeutsame oder irreführende Informationen
       Der diagnostische
      Prozess zur Abklärung einer psychischen Störung ist stets ein Kompromiss
      aus notwendigen und zugleich hinreichenden Untersuchungen. Eine
      erschöpfende Abklärung aller Gründe, die zu Verhaltensauffälligkeiten
      führen können, ist nicht machbar. Neben der Vielzahl an denkbaren
      Ursachen liegt dies nicht zuletzt an der Willkür unserer Entscheidungen,
      d.h. der Freiheit des menschlichen Willens. Mehr noch: Bereits der
      Versuch, die Bedingungen von Verhalten umfassend begreifen zu wollen,
      würde für eine Therapie von Verhaltensstörungen problematische
      Konsequenzen haben. Immerhin könnten sich sowohl der Patient als auch
      seine Umwelt auf die Position zurückziehen, dass sie letztlich keine
      Verantwortung für das Verhalten und seine Änderung tragen. Das aber ist
      nicht richtig! Ebenso können marginale, d.h. nur einzelne Randbereiche
      der Hyperkinetischen Störung betreffende, irreführende oder gar
      falsche Informationen von der Diagnose und Therapie der eigentlichen
      Problematik und ihrer Gründe ablenken. So tragen z.B.
      Ernährungsfaktoren in geringem Umfang indirekt zur Verhaltensausprägung
      bei, sei es vermittels  Unverträglichkeiten, Essgewohnheiten oder
      der Zuwendung durch Diätpläne. Dennoch führen Veränderungen der
      Ernährung, die in ihrer Umsetzung z.T. sehr aufwendig sind, i.d.R. nicht
      zu bedeutsamen Verhaltensänderungen, weder allgemein noch insbesondere im
      Hinblick auf die hyperkinetische Symptomatik. Eine umfangreiche
      diagnostische Berücksichtigung dieser Faktoren erbringt daher im
      Vergleich zum Aufwand absehbar wenig Gewinn. Irrige Annahmen wie
      beispielsweise die Vorstellung, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität seien
      die Folge eines ungenügenden Zusammenspiels der Sinnesmodalitäten bzw.
      Wahrnehmungsfunktionen, legen Untersuchungen und Behandlungsformen nahe,
      die, mögen sie auch anderweitig Kompetenzen der Patienten fördern, für
      die Therapie der eigentlichen Störung und ihrer Folgen nicht ausreichend
      sind. Werden sie parallel zu indizierten Therapien angewendet, bedeuten
      diese Maßnahmen schlimmstenfalls eine zusätzliche Belastung des
      Betroffenen. Sollen sie aber im Grunde notwendige andere Interventionen
      ersetzen oder sind diesen vorgeschaltet, geht wertvolle Zeit für eine
      angemessene Diagnostik und Behandlung verloren. Daher macht es Sinn,
      weniger wichtige oder gar irreführende Informationen von vornherein
      auszuschließen.  | 
   
  
    
       
      Was Sie sonst noch wissen sollten
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    | "Die beste
      Krankheit taugt nichts!" Diese (wohl alte) Volksweisheit gewinnt
      in den letzten Jahren gerade im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie
      wieder an Brisanz und Bedeutung. Die Zahl der Diagnosen, welche über
      verhaltensauffälligen Kindern aufgetürmt werden, steigt beständig an.
      Sind unsere Kinder tatsächlich mehr und mehr gestört?
       Nein! Es ist nicht das Verhalten der Kinder, das sich im
      luftleeren Raum verschlechtert hätte, sondern Entwicklungsbedingungen,
      Anforderungen und Perspektiven haben sich stark verändert.
      Psychischen Störungen kommt heute eine größere Aufmerksamkeit, in einer
      auf Selbstkontrolle ausgerichteten liberalen Gesellschaft aber auch
      weitaus größere Bedeutung zu. Wir sehen vermehrt und mit geschulterem
      Auge auf die Probleme unserer Kinder, weil wir keine konkrete
      Vorstellung von ihrer Zukunft mehr haben. Daher fällt es uns schwer einzuschätzen,
      welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sie als Erwachsene einmal brauchen
      werden - und am liebsten gäben wir ihnen all unser Wissen und Können
      mit auf den Weg, entfernten alle Steine und gewährten ihnen jede
      erdenkliche Förderung. Und sollte diese Hilfe nur über eine Diagnose zu
      erhalten sein, so akzeptieren wir leichthin auch die Störung, die wir in
      der Folge bekämpfen. 
      Bleiben Sie kritisch! Versuchen Sie sich an Ihre eigene Kindheit
      zu erinnern und ob das in Frage stehende auffällige Verhalten auch damals
      als Störung verstanden worden wäre. Wägen Sie die Gründe und
      Erklärungen, die Ihnen für Ihr Verhalten oder das Ihres Kindes von
      Fachleuten genannt werden, gründlich ab: Macht das Sinn? Ist das so
      einfach? Kann man das messen? Hilft mir das weiter? Ist das nötig? Wird
      das in Zukunft noch von Bedeutung sein? Lesen und Lernen Sie nicht nur
      über die Krankheit, sondern auch über die Gesundheit. Üben Sie sich
      darin, in allem erst das Positive zu sehen. Umgeben Sie sich mit
      "normalen" Menschen und vermeiden Sie ein Verharren in Begriffen
      und Bildern der Störung. Suchen Sie Ärzte, Psychologen
      oder andere Fachleute auf, die nicht Ihrer
      Meinung sind, um Ihre Argumente mit deren zu messen. Hinterfragen Sie Ihr eigenes
      Denken, was Sie oder Ihr Kind durch die Diagnose einer
      Hyperkinetischen Störung gewinnen, was es verlieren kann. Befreien Sie
      sich von entbehrlichem Wissen und den
      unklaren Einwänden ideologischer Schulen oder ungeeigneter Disziplinen. Nehmen
      Sie ernst, was Sie denken und wollen, was Ihr Kind denkt und will. 
      Wenn Sie jetzt noch immer der Ansicht sind, Ihr Verhalten oder das
      Ihres Kindes sind auffällig und bedürfen der Berücksichtigung und
      Behandlung, dann suchen Sie einen Fachmann auf. Und achten Sie darauf,
      dass er zur Diagnose die richtigen
      Fragen stellt. 
         | 
     
      Redekunst oder Dichtkunst ernähren nur einen
      ausgezeichneten Vertreter; wenn ein Musiker nicht hervorragt, muss er
      hungern; ein Rechtsgelehrter hat nur ein schmales Einkommen, wenn er nicht
      außerordentlich tüchtig ist. Allein die Heilkunst ernährt und erhält
      jemanden ohne Rücksicht auf den Grad seiner Gelehrsamkeit. Auf
      zahlreichen Wissensgebieten, auf einer unendlichen Kenntnis von Tatsachen
      beruht die Kunst des Arztes; und doch ernährt häufig das eine oder
      andere (von ihm gefundene oder vertriebene) Heilmittel sogar einen
      Ignoranten. So wenig könnte man diese Kunst als unfruchtbar verwerfen! 
      Erasmus von Rotterdam 
      Zum Lobe der Heilkunst (s.o.) 
      Portrait: Ausschnitt aus einem Bild von Hans Holbein (1523)
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    Textanfang | 
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