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    | Mit dem Begriff der Aufmerksamkeitsdefizitstörung
      (mit oder ohne Hyperaktivität) ist die Unaufmerksamkeit nicht
      nur dem Namen nach, sondern in den Augen v.a. vieler betroffener
      Erwachsener auch inhaltlich zum Leitsymptom der - im DSM ehemaligen, in
      der ICD nochbestehenden - Hyperkinetischen Störung geworden. Eine
      wichtige Rolle mag dabei nicht zuletzt die subjektive Qualität der
      Aufmerksamkeit gespielt haben, die nicht in gleichem Maße wie
      Impulsivität oder Hyperaktivität von Außenstehenden beobachtet und
      bewertet werden kann. Während wir nämlich an Kindern die äußere
      Einschätzung ihrer psychischen Verfassung durch eine medizinische
      Diagnose akzeptieren, ziehen wir es als Erwachsene vor, das Urteil über
      unsere Befindlichkeit selbst zu fällen. Daher wurde die wachsende
      Bedeutung der Aufmerksamkeitsdefizitstörung in den vergangenen Jahren
      durch die allgemein breitere öffentliche Auseinandersetzung mit
      psychischen Auffälligkeiten in besonderem Maße befördert. Probleme mit
      der im Zeitalter von Maschinen und Computern immer wichtigeren passiven
      Aufmerksamkeit für zu kontrollierende Prozesse sowie eine zunehmende Zahl
      an Menschen, die der Anforderung lebenslangen Lernens nicht gewachsen
      sind, finden heute im Postulat fundamental gestörter Aufmerksamkeit eine
      entlastende Erklärung. Und dies, obwohl die Ursachen von Unaufmerksamkeit
      vielfältig und jenseits der Hyperkinetischen Störung häufig nicht klar
      zu bestimmen sind. 
       In diesem Sinne ist für zukünftige Revisionen der gebräuchlichen
      Diagnoseschemata ICD und DSM im Fall der Aufmerksamkeit die umfangreichste
      Veränderung der bisherigen Diagnosekriterien zu erwarten. Augenblicklich
      verzeichnen beide Diagnosemanuale  9 Symptombeschreibungen, die zur
      Symptomgruppe einer Störung der Aufmerksamkeit gerechnet werden. 
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    aufmerksam = 
      sehend, hörend seine geistige Aufnahmefähigkeit bereitwillig auf etwas
      richten
      unaufmerksam =  
      nicht aufmerksam; im Unterricht unaufmerksam sein; ein unaufmerksamer
      Schüler 
      Duden Deutsches Universalwörterbuch (1989) S.160 u.
      S.1596  | 
   
  
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    Die/der Betroffene ... | 
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    | 1 | 
    beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht
      Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei
      anderen Tätigkeiten | 
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    | 2 | 
    hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit
      bei Aufgaben oder bei Spielen aufrecht zu erhalten | 
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    | 3 | 
    scheint oft nicht zuzuhören, wenn andere sie/ihn ansprechen | 
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    | 4 | 
    kann oft Erklärungen nicht folgen oder Schularbeiten,
      Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllen (nicht wegen
      oppositionellem Verhalten oder weil die Erklärungen nicht verstanden
      werden) | 
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    | 5 | 
    hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu
      organisieren | 
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    | 6 | 
    vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder
      beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die
      längerandauernde geistige Anstrengung erfordern (z.B. in der Schule oder
      bei den Hausaufgaben) | 
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    | 7 | 
    verliert häufig Gegenstände, die sie/er für bestimmte
      Aufgaben oder Aktivitäten benötigt (z.B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte,
      Stifte, Bücher oder Werkzeuge) | 
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    | 8 | 
    ist häufig durch äußere Reize leicht ablenkbar | 
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    | 9 | 
    ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich | 
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    | Sowohl in der ICD-10 als auch im DSM-IV müssen zumindest 6
      der 9 Symptombeispiele bejaht werden und die Symptome über einen Zeitraum
      von mehr als 6 Monaten zu beobachten sein, damit die Diagnose einer  Hyperkinetischen
      Störung (ICD-10) bzw. einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (mit
      oder ohne Hyperaktivität; DSM-IV) gestellt werden kann. Als symptomatisch gelten dabei nur
      solche Auffälligkeiten, die ein für den Stand der Entwicklung
      ungewöhnliches Ausmaß erreichen. 
       Das DSM-IV erlaubt es, sich zur Diagnose der Aufmerksamkeitsdefizit/ Hyperaktivitätsstörung entweder auf die
      Symptomgruppe der Aufmerksamkeitsdefizite einerseits oder der Impulsivität und
      Hyperaktivität andererseits zu beschränken. Die Diagnose einer reinen
      Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität ist im Rahmen der Hyperkinetischen
      Störung der ICD-10 (Kategorie F.90) nicht möglich. Für sie
      sieht die ICD eine Restkategorie (F98.8) vor, deren Zusammensetzung mit
      recht unterschiedlichen Symptomen wie Nägelkauen, Nasebohren,
      Daumenlutschen und Masturbation deutlich macht, dass die
      Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Herausgeber der ICD in einer
      isolierten Aufmerksamkeitsstörung derzeit keine als eigenständige
      Störung greifbare Einheit erkennt. Darüber hinaus kennt die ICD-10 eine
      weitere nicht eingehender erläuterte Kategorie sonstiger
      hyperkinetischer Störungen (F90.8) sowie eine Restkategorie nicht
      näher bezeichnete hyperkinetische Störungen, die für Fälle
      reserviert ist, in denen nicht klar zwischen einer einfachen
      Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F.90.0) bzw. einer Hyperkinetischen
      Störung des Sozialverhaltens (F.90.1) unterschieden werden kann. 
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    Vier Wochen hatte
      ich nicht zur Schule gehen müssen, doch schon die ersten Tage nach den
      Ferien waren ein Trauerspiel. Wie immer hatte ich das neue Schuljahr mit
      den allerbesten Vorsätzen begonnen und mir vorgenommen, mich gut zu
      benehmen, meine Hausaufgaben zu machen, pünktlich zum Unterricht zur
      erscheinen und bis zum Ende der Stunde zu bleiben. [...]
       Ich gab mir Mühe. Ehrlich. Ich ging zur Schule und
      nicht mehr ins Büro der Doors. Ich las, was man uns zum Lesen aufgab,
      machte meine Hausaufgaben, und jede einzelne Sekunde davon war mir
      zuwider. »Dein größtes Problem ist deine Einstellung«, sagte mir meine
      Lehrer, und sie hatten recht. Aber ich ging Tag für Tag zur Schule. Ich
      war brav und fühle mich hundeelend. 
      Danny Sugerman 
      Wonderland Avenue 
      Maroverlag (1991) S.85ff.  | 
   
  
    | Beide Manuale verlangen für eine gültige
      Diagnose zudem, dass einige Symptome in zwei oder mehr Kontexten auftreten
      (z.B. zuhause und in der Schule), d.h. nicht an eine bestimmte soziale
      Situation gebunden sind. Darüber hinaus müssen sie eine merkliche
      Beeinträchtigung der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit
      bzw. ein Leiden daran begründen. Zuletzt müssen die Symptome einen
      eigenständigen Krankheitswert besitzen, dürfen also nicht Folge anderer
      psychischer oder körperlicher Erkrankungen sein.
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    impulsiv 
      hyperaktiv | 
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